Technologiebedingten Wandel meistern

Change-Ansätze zur Reduzierung von Technostress

In modernen Arbeitswelten werden zunehmend arbeitsplatzbezogene digitale Technologien eingesetzt. Wenngleich dies zahlreiche Chancen bietet, kann es auch negative Folgen für die Gesundheit von Mitarbeitenden haben. Diese Herausforderungen werden durch die aktuelle Corona-Krise für viele Unternehmen noch verschärft. Stress, der direkt oder indirekt durch den Einsatz von Technologien entsteht, wird als «Technostress» bezeichnet. Wichtige Hebel zu dessen Vermeidung umfassen die Gestaltung von Technologien sowie die Berücksichtigung verschiedener individueller und situativer Faktoren im Rahmen technologischer Veränderungsprozesse.

Die digitale Transformation verändert auf vielfältige Art die Kommunikations- und Informationsflüsse in modernen Arbeitswelten. IT-basierte Innovationen, wie beispielsweise digitale Kollaborationslösungen, erlauben die räumlichen und zeitlichen Grenzen in der Zusammenarbeit zu überbrücken. Die Möglichkeit jederzeit online – und damit verfügbar – zu sein, führt zu einer starken Beschleunigung der Lebens- und Arbeitsrhythmen. Besonders durch die Corona-Krise sind viele Unternehmen aktuell auf digitale Technologien für die Zusammenarbeit angewiesen.

Die zunehmende Durchdringung von Privat- und Berufsleben mit digitalen Technologien kann allerdings ein ungesundes Stresserleben mit sich bringen (z. B. Riedl et al. 2012). Unter Technostress werden die direkten und indirekten negativen Auswirkungen von Technologien auf die physische und mentale Gesundheit zusammengefasst.

Technostress wird in durch die Digitalisierung ausgelösten Veränderungsprozessen zunehmend relevant (bspw. Jager, Rauch, Thiemann & Kaiser 2019). So geben 37 Prozent der in der Studie befragten Mitarbeitenden und Führungskräfte an, dass der Arbeitsdruck durch den Einsatz digitaler Technologien gestiegen ist. 66 Prozent aller Befragten erleben eine deutliche Zunahme der zu verarbeitenden Informationsmenge und für 60 Prozent der Führungskräfte verschwimmt die Grenze zwischen Beruf und Privatleben immer stärker. Derartige Entwicklungen stellen das Change Management vor neue Herausforderungen.

Das Phänomen Technostress

Der Begriff Technostress wurde in den 80-er Jahren eingeführt (Brod 1984) und seitdem konzeptionell weiterentwickelt. Auf Basis einiger Forschungsarbeiten können verschiedene Aspekte von Technostress sowie deren Folgen identifiziert werden (z. B. Ayyagari et al. 2011; Gimpel et al. 2018; Tarafdar et al. 2019).

Die grundlegende Idee des Modells ist, dass es spezifische technologiebedingte Stressfaktoren gibt, die im Rahmen von technologischen Veränderungen im Unternehmen zu Technostress führen können. Ob es jedoch zu Technostress und dessen Folgen kommt, hängt vom Wechselspiel verschiedener Faktoren auf situativer und individueller Ebene sowie den Charakteristika der eingesetzten Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) ab.

Auf Basis der Forschungsarbeiten lassen sich fünf Faktoren identifizieren, die durch den Einsatz von Technologien Technostress erzeugen können:

1. Techno-Overload: Neue Technologien können dazu führen, dass sich Arbeitszeit und -tempo erhöhen. Dies drückt sich beispielsweise darin aus, dass Arbeitnehmer durch digitale Kanäle mit Informationen «überflutet» werden oder sich die Arbeit verdichtet.
2. Techno-Invasion: Die Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben können durch den Einsatz neuer Technologien zunehmend verschwimmen. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die potenzielle ständige Erreichbarkeit über digitale Kanäle auch außerhalb der Arbeitszeiten.
3. Techno-Complexity: Technologien können einen hohen Komplexitätsgrad mit sich bringen. Dadurch kann beim Mitarbeitenden das Gefühl entstehen, nicht ausreichend qualifiziert zu sein, um technologiebedingte Herausforderungen zu meistern. Dies erhöht wiederum den Druck, sich ständig verbessern zu müssen.
4. Techno-Insecurity: Mitarbeitende können dadurch Stress erleben, dass sie ihren Arbeitsplatz bedroht sehen. Dies kann z. B. aufgrund von Automatisierungsprozessen der Fall sein oder durch das Gefühl, dass es Menschen gibt, die ein besseres Verständnis für neue Technologien aufweisen und einen ersetzen.
5. Techno-Unreliability: Technologien können aufgrund von Systemstörungen oder Anwendungsproblemen als unzuverlässig erlebt werden und damit potenziell Stress auslösen.

Verschiedene Forschungsarbeiten haben gezeigt, dass Technostress zum einen arbeitsplatzbezogene Folgen haben kann, wie beispielsweise eine mangelnde Arbeitszufriedenheit, mangelndes organisatorisches Engagement und sinkende Produktivität (vgl. Tarafdar et al. 2019). Zum anderen kann die Nutzerzufriedenheit und Akzeptanz von Technologien am Arbeitsplatz sinken. Neben physischen Beschwerden wie trockene Augen und Rückenprobleme sind insbesondere die psychologischen Folgen von Technostress ein wachsendes Problem (vgl. z. B. Gimpel et al. 2018). Diese äußern sich in Erschöpfung und Belastung bis hin zum Burnout, was letztendlich lange Ausfallzeiten von Mitarbeitenden nach sich zieht (z. B. Siegrist 2018). Folglich ist Technostress sowohl wegen der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers als auch aus ökonomischen Gesichtspunkten relevant für Unternehmen.

Um die genannten gesundheitlichen Auswirkungen auf die Mitarbeitenden zu vermeiden, sollte Technostress in Veränderungsprozessen reduziert werden. Ob technologiebedingte Stressfaktoren auftreten und in welchem Ausmaß sie überhaupt zu Technostress führen, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Im Wesentlichen gibt es gemäß dem skizzierten Modell drei Bereiche, in denen sich Interventionen in einem Veränderungsprozess empfehlen:

  • Charakteristika von IKT (Zuverlässigkeit, Benutzerfreundlichkeit, Mobilität, u. a.)
  • Situative Faktoren (Aufgaben, Prozesse, Umgebung im Unternehmen)
  • Individuelle Faktoren (Motivation, Fähigkeiten, u. a.)

Dabei sollten im Rahmen eines umfassenden Change Managements die Wechselwirkungen der Interventionen in den drei Bereichen berücksichtigt werden. Gemäß dem FITT-Modell (Ammenwerth et al. 2006) kann eine hohe Technologieakzeptanz nur erreicht werden, wenn alle drei Bereiche gut ineinandergreifen. So kann beispielsweise eine Technologie, obwohl sie zuverlässig und benutzerfreundlich ist (Charakteristika IKT), bei Mitarbeitenden zu Stress führen, wenn deren Fähigkeiten (individueller Faktor) diese zu bedienen fehlen oder die Technologie nicht gut zu den Arbeitsinhalten und -prozessen passt (situativer Faktor).

Vermeidung von Technostress in Veränderungsprozessen

Gestaltung technologischer Charakteristika
Das Change Management muss bei der Einführung neuer Technologien bereits frühzeitig einsetzen, um eine geeignete Gestaltung der einzuführenden Technologien zu gewährleisten, damit möglichst wenige technologiebedingte Stressoren entstehen.

Das Technology-Acceptance-Model (TAM) beschreibt mit dem wahrgenommenen Nutzen («perceived usefulness») und der wahrgenommenen Einfachheit der Bedienung («perceived ease of use») zwei Variablen für die Benutzerakzeptanz und die daraus folgende Systemnutzung von Technologie (Davis 1993). Damit sie akzeptiert werden, müssen Technologien sowohl Mehrwert für die Arbeitsleistung der Mitarbeitenden stiften als auch ein angemessenes Verhältnis von Aufwand, der durch das Erlernen des neuen Systems entsteht, und Nutzen aufweisen.

Im Change-Prozess ist es deshalb zum einen sinnvoll, Ziel und Nutzen der Technologien ausreichend zu kommunizieren. Zum anderen ist es wichtig, eine Umgebung zu schaffen, die wechselseitiges Lernen (vgl. Huchler 2016) und schnelle Fortschritte im Umgang mit der Technologie ermöglicht. Technologien sollten so gestaltet werden, dass sie die Mitarbeiterautonomie fördern (Köffer & Urbach 2016). Auch hier ist wichtig, eine lernförderliche Umgebung zu schaffen. Ähnliche Aspekte werden im neueren Konzept «Usability» aufgegriffen, welches bei der Stressvermeidung eine große Rolle spielt. Die eingesetzten Technologien sollten nützlich, nicht schwer zu bedienen und verständlich sein sowie zuverlässig funktionieren, damit Stress vermieden werden kann (Ayyagari et al. 2011). Das Task-Technology-Fit-Modell (TTF) erweitert die Ansicht des TAM-Modells um den Aspekt, dass Technologien nur dann einen positiven Einfluss auf Mitarbeitende ausüben, wenn die Funktionalität der Technologien mit den Aufgabenanforderungen übereinstimmt (Goodhue & Thompson 1995). Im Change-Prozess sollte die Gestaltung der Technologie daher bereits frühzeitig beachtet werden, damit eine mangelnde Integration in die Arbeitsabläufe nicht zum Stressfaktor wird.

Individuelle Faktoren
Die Einführung neuer Technologien wirkt sich in der Regel auf die Arbeitssituation und die damit verbundenen Anforderungen an die Mitarbeitenden aus. Damit diese Vorhaben gelingen, ist es daher wichtig, neben der Gestaltung technologischer Charakteristika auch individuelle und situative Faktoren zu berücksichtigen und eine Passung zwischen den drei Komponenten anzustreben.

Eine individuelle Ressource der Mitarbeitenden zur Vermeidung von Technostress ist eine ausreichende Technologiekompetenz. Neue Technologien erfordern meist neue Kompetenzen, die zuerst einmal aufgebaut werden müssen. Dazu gehört nicht nur, die Technologien und Software bedienen zu können. Mitarbeitende müssen auch mit den einhergehenden Themen umgehen lernen. Hierzu zählt beispielsweise die Fähigkeit, Informationen zu selektieren (Informationsvielfalt) oder sich bei ständiger Erreichbarkeit abzugrenzen. Entsprechende Weiterbildungen sind im Rahmen des Change Managements deshalb unerlässlich. Als weiteren Puffer gegen Technostress lässt sich die technologische Selbstwirksamkeit ausbauen, indem die Mitarbeitenden selber bestimmen können, wie sie die Technologien zielführend für ihre Arbeit einsetzen. Dafür empfiehlt es sich, die späteren Nutzer frühzeitig in das Veränderungsprojekt einzubeziehen und mitgestalten zu lassen. Ein weiterer möglicher Ansatzpunkt auf individueller Ebene ist die Stärkung problembezogener Copingfähigkeiten der Mitarbeitenden. Dadurch können sie auftretenden Technostress aktiv adressieren und Probleme beheben.

Situative Faktoren
Zur Vermeidung von Technostress ist die Gestaltung des betrieblichen Kontexts der Beschäftigten ein weiterer Ansatzpunkt. So ist es beispielsweise für die Mitarbeitenden wichtig, bei technologiebedingten Problemen auf kompetente und schnell verfügbare Ansprechpartner zurückgreifen zu können. Dies gilt insbesondere zu Beginn einer Implementierung von Technologien, da hier vermehrt Probleme und Unklarheiten auftreten. Eine Arbeitsplatzgestaltung, die eine ergonomische Nutzung der Technologien gewährleistet, ist ebenfalls förderlich. Diese kann sich iterativ im Rahmen der Veränderungen an die Bedürfnisse der Mitarbeitenden annähern. Darüber hinaus können klare betriebliche Regeln eine sinnvolle Basis sein, um technologiebedingen Stress zu vermeiden. Bei Kommunikationstechnologien kann beispielsweise der Stress durch ständige Erreichbarkeit reduziert werden, indem klare – für alle verbindliche – Regeln über die Verfügbarkeit außerhalb der Arbeitszeit aufgestellt werden (vgl. Thiemann, Müller & Kozica 2019).

Fazit

Ein besseres Verständnis der relevanten Einflussfaktoren und Ausprägungen des Phänomens kann Unternehmen helfen, Technostress in Veränderungsprozessen zu reduzieren und für Krisenzeiten, wie die derzeitige Corona-Pandemie, besser gewappnet zu sein. Die nutzerfreundliche Gestaltung von in die Arbeitsabläufe gut integrierten Technologien sowie die Stärkung individueller und situationaler protektiver Faktoren, sind wesentliche Hebel für Unternehmen, um negative Folgen bei der Implementierung neuer Technologien zu vermeiden. Dabei ist es wichtig, die skizzierten Gestaltungsmöglichkeiten für das Change Management im Rahmen einer guten Passung zu reflektieren und entsprechend wechselseitig aufeinander abzustimmen.

Dr. Daniel Thiemann
Akademischer Mitarbeiter und Dozent, ESB Business School, Hochschule Reutlingen

Prof. Dr. Arjan Kozica
Professor für Organisation und Leadership, ESB Business School, Hochschule Reutlingen

Prof. Dr. Petra Kneip
Professorin für Personalmanagement und Organizational Behavior, ESB Business School, Hochschule Reutlingen

Bei diesem Text handelt es sich um einen Beitrag in der Ausgabe 3/2020 der ZOE, den wir Ihnen hier exklusiv kostenlos zur Verfügung stellen.