Wir haben keinen Spielraum mehr für Fehler

Im Gespräch mit Thomas Evans (CNN)

Journalismus ist in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten und kämpft in Zeiten von sozialen Medien und Fakten-Check um seine Bedeutung. Ich habe mit dem erfahrenen Journalisten und Leiter des CNN-Büros London, Thomas Evans, über Mut im kleinen Handeln und überzogenen Übermut in der Selbstdarstellung gesprochen.

ZOE: Würden Sie sich selbst als mutig bezeichnen?

Evans: Ich wünschte ich wäre es, aber nein. Denke ich, dass ich manchmal mutig gehandelt habe? Ja.

ZOE: Welche Bedeutung hatte Mut bisher für Sie als Journalist?

Evans: Ein großer Teil meiner Karriere fand in Konfliktländern statt, in feindlichen und gefährlichen Situationen oder nach Naturkatastrophen. Ich habe beispielsweise viele Jahre im Irak verbracht, in Afghanistan, in Syrien, in Libyen, Ägypten während des Arabischen Frühlings, Hurricane Katrina, 9/11 … Ich denke, in diesen Kontexten zu arbeiten erfordert durchaus Mut. Ich verstehe Mut als Angstmanagement. Mutig zu handeln bedeutet nicht, ohne Angst zu handeln, sondern seine Angst zu verstehen und in der Lage zu sein, sie zu kontrollieren. In einer feindlichen Umgebung ist die Angst dein bester Freund, sie ist ein Sicherheitsmechanismus, sie hält dich am Leben. Es geht darum, seine Angst zu kontrollieren und sie zu seinem Vorteil zu nutzen, anstatt von ihr beherrscht und gelähmt zu werden.

ZOE: Müssen Journalist*innen heutzutage mutig sein?

Evans: Ich denke, wirklichen Mut im Journalismus braucht es in den Grauzonen, also in den Situationen, in denen es nicht zwangsläufig um Leben und Tod geht. Stattdessen ist mutiges Handeln gefragt, wenn ein persönliches berufliches Risiko auf dem Spiel steht. In einem Nachrichten-Unternehmen wie CNN gibt es keinen Spielraum für Fehler mehr. Wenn wir bei CNN in einer Welt der Fake News einen Fehler machen, wird das zu einer Story und wir werden verleumdet. Wir können nicht einfach sagen: Huch, da lagen wir daneben. Niemand würde uns das glauben. Es erfordert also manchmal eine Menge Mut, als Journalist heute einfach nur seinen Job zu machen. Die Auswirkungen sind in dieser Umgebung derart gravierend geworden.

ZOE: War das schon immer so?

Evans: Hätten Sie mir dieselben Fragen vor zehn Jahren gestellt, hätten wir uns viel mehr auf den Mut in der Kriegsberichterstattung konzentriert, ein Wort, was ich übrigens nicht mag. Aber vor einigen Jahren waren das noch die offensichtlichen Situationen, in denen es Mut als Journalist bedurfte. Jetzt ist der wahre Mut unser Tagesgeschäft. Die Beschimpfungen, mit denen einige meiner weiblichen Kolleginnen online konfrontiert werden, machen mich sprachlos. Trotzdem lassen sie sich davon nicht entmutigen und leisten fantastische Arbeit. Ich denke, das erfordert echten Mut. Der Mut, den man in dieser Branche heute braucht, hat nichts mit Kriegsgebieten zu tun.

ZOE: Wie wirkt es sich aus, in einem so feindseligen, möglicherweise entmutigenden Umfeld zu arbeiten?

Evans: Ich habe das Gefühl, und ich denke, einige meiner Freund*innen und Kolleg*innen würden mir zustimmen, dass vor allem die letzten vier Jahre, in denen CNN und Journalist*innen im Allgemeinen als Feind des Volkes dargestellt wurden, sehr herausfordernd waren. Im Journalismus brennen viele Leute aus. Es ist wirklich ermüdend und anstrengend. Die meisten Jobs sind rund um die Uhr besetzt, was hart sein kann. Viele halten nicht sehr lange durch. Auch ich habe in meiner Karriere Zeiten erlebt, in denen mir der Sprit ausging.

Für mich persönlich haben die letzten vier Jahre aber dazu geführt, dass ich wiedererkannt habe, was mir an einem Beruf wichtig ist und warum ich ihn ausübe. Ich habe das Gefühl wiederentdeckt, warum das, was wir als Journalist*innen machen, einen Wert hat. Schauen Sie, über Konflikte zu berichten ist einfach, weil man ganz genau weiß, was man tut. Man weiß, warum man dort ist und worum es geht. Die Stories und Nachrichten fliegen dir quasi zu. Das Drama, die Gefahren, all das kommt direkt zu dir. All die Diskreditierungen von journalistischer Arbeit in den letzten Jahren haben dazu geführt, dass viele Journalist*innen aufgestanden sind und gesagt haben: Wir sind hier, um die Wahrheit zu sagen. Es mag Ihnen nicht gefallen, was wir sagen, aber das macht es nicht weniger wahr.

ZOE: Journalist*innen stehen ja nicht selten selber gerne im Rampenlicht. Vielleicht besteht eine Form des mutigen Handelns ja auch darin, sich mehr zurück zu nehmen?

Evans: In der Tat ist es vielleicht mutiger, jemand anderem zu erlauben, zu glänzen. Ich denke, zumindest für mich besteht ein großer Teil meiner Arbeit darin, die eigenen Interessen zurückzustellen. Manchmal kann man sich selbst mit Ruhm bedecken, aber das muss nicht das Beste für die Geschichte oder das Beste für das Unternehmen oder das Team und die Kolleg*innen sein. Deshalb ja: Die Fähigkeit und das Selbstbewusstsein, sich nicht immer nur um sich selbst zu drehen, ist als Journalist ebenfalls mutig. Und ehrlich gesagt ist das leichter gesagt als getan. Der Journalismus ist eine Branche, in der es viele Egos
gibt und viele Leute, die Schwierigkeiten damit hätten, wenn sich die Geschichte nicht um sie dreht. Das kontinuierliche Reflektieren der eigenen Person und Rolle ist daher zutiefst wichtig.

ZOE: Hat Mut auch eine dunkle Seite?

Evans: Ich habe hierüber bisher noch nicht wirklich nachgedacht, aber ich denke Sie haben da einen Punkt. Jemand wie der ehemalige US-Präsident Donald Trump handelt ohne Angst vor den Konsequenzen seines Handelns. Das erfordert auch ein gewisses Maß an Mut. Das muss aber nicht gut sein. Mut ist per se nicht gut oder schlecht, sondern neutral. Mut kann eine sehr kraftvolle Art sein, sich zum Guten zu verhalten. Ohne ein Laienpsychologe sein zu wollen, aber wenn man Mut mit soziopathischen und narzisstischen Persönlichkeiten kombiniert, kann das sehr gefährlich werden. (lacht)

ZOE: Hat Sie der Mut jemals im Stich gelassen?

Evans: Ja. Ich denke, wahrscheinlich mehr in meinem Privatleben als im Beruf. Ich glaube nicht, dass ich ein besonders mutiges Kind war. Das hat mir aber geholfen, ein mutigerer Erwachsener zu sein, denn ich habe erkannt, dass man einige Misserfolge haben muss, um zu erkennen, dass man Risiken eingehen kann. Beruflich gab es definitiv Zeiten, in denen ich mir wünschte, ich hätte mich stärker für eine Geschichte eingesetzt, und ich habe nicht auf mein Bauchgefühl vertraut. Das waren Situationen, in denen ich nicht so mutig war, wie ich mir selber erhofft hatte. Das Lustige an Mut ist, je mehr er gefordert ist, desto einfacher ist es, danach zu handeln. Es sind die kleinen Dinge, die ich wirklich schwierig finde. Die, bei denen man sich nicht wirklich sicher ist.

Einmal hatte ich ein Interview mit einem Massenmörder geplant. Ich wusste, dass er dem Interview zugestimmt hatte, weil er es als eine Plattform für sich und seine Botschaften nutzen wollte. Es gab eine Menge Leute bei CNN, die meinten, wir sollten es deshalb nicht führen. Wir sollten ihm diese Bühne nicht geben. Meine Meinung war: wir kontrollieren das Interview und wir müssen es letztlich ja nicht ausstrahlen. Zweitens: Ich glaube, wir sind schlauer als er. Und nicht zuletzt bin ich persönlich bereit, dieses Risiko einzugehen. Aber es gab eine Menge Argumente dagegen. Am Ende habe ich nachgegeben und wir haben es nicht gemacht. Ich weiß noch, wie frustriert ich war, dass ich es nicht durchziehen konnte. Schließlich gab ich auf, weil es einfach zu hart war, weiter dagegen anzukämpfen.

ZOE: Kann man Mut lernen?

Evans: Sich zu sagen: «Ich werde jetzt mutiger sein», wird wahrscheinlich nicht funktionieren. Wenn du dich aber fragst: Warum hat mir diese Situation Angst gemacht, warum habe ich gezögert? Was war das tatsächliche Risiko? Hätte ich in dieser Situation tatsächlich mehr Risiko eingehen sollen? Wenn du dir diese und andere Fragen stellst, dann lernst du, wie du mit deiner Angst und deiner Risikotoleranz umgehen kannst. Das ist ein ganz natürlicher Lernprozess, wenn man ihn so gestaltet.

Im Grunde ist es wie bei allen menschlichen Verhaltensweisen: Wenn man etwas zum ersten Mal tut und es erfolgreich ist und funktioniert, wiederholt man es, und nach und nach fällt es einem immer leichter. Es fühlt sich gut an und dann will man es wieder fühlen und so baut sich nach und nach ein entsprechendes Verhalten auf – auch Mut.

ZOE: Gibt es jemanden, der für Sie Mut verkörpert?

Evans: Ich erinnere mich an einen meiner Kollegen im Irak, der ein absolut chaotisches Privatleben hatte. Er trank zu viel und hatte so einige Probleme. Beruflich jedoch, rein journalistisch gesehen, war er hoch professionell und engagiert. Er strotzte nur so vor Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten als Journalist. Er hat sich in die Geschichten, die er schrieb, reingedreht und wir alle haben uns gefragt, was er da eigentlich macht. Aber er hatte Vertrauen in sich und zog es durch. Ich kann mich an kein einziges Mal erinnern, bei dem er am Ende mit seinen Geschichten nicht Recht behalten hätte. Und das waren nicht irgendwelche
Geschichten, die er produzierte. Seine Arbeiten wurden z. B. auf Pressekonferenzen mit dem damaligen US-Präsidenten George Bush angesprochen und der Präsident musste dazu Stellung beziehen. Dabei hat man auch versucht, seine Arbeit zu widerlegen bzw. als falsch darzustellen. Aber das hat nicht funktioniert, denn er hat nicht nachgegeben. Und er hatte mit all seinen Beiträgen Recht. Obwohl der Rest seines Lebens eine absolute Katastrophe war, hatte er eine erstaunliche Arbeitsmoral. Wenn ich also an professionellen Mut als Journalist denke, dann war er definitiv ein Beispiel dafür.

Das Gespräch führte ZOE-Redakteur Oliver Haas.


Aus Ausgabe Nr. 3/21: Wandelmut – Couragiertes Handeln im Change

Wir alle kennen Momente, in denen wir an der Schwelle stehen. Augenblicke, in denen wir uns mit Bedenken und unseren Ängsten konfrontiert fühlen, gleichzeitig aber auch den Drang haben, uns diesen zu widersetzen und über uns hinaus zu wachsen. Kurz gesagt: Mutig zu sein.

Doch was heißt das überhaupt? Mut wird meist etwas Positives und Aktivierendes zugewiesen. Etwas Heldenhaftes. Ist das wirklich so? Im Schwerpunkt dieser Ausgabe beschäftigten wir uns mit dem vielschichtigen Thema Mut aus ganz verschiedenen Perspektiven.