Rollenbewusstsein

Erfolgsfaktor im Shopfloor Management

Die Zusammenarbeit auf Augenhöhe ist zentral im Shopfloor Management. Sie fällt Führungskräften leichter, wenn diese ein angemessenes Rollenbewusstsein entwickeln. Dadurch können sie leichter erkennen, welche ihrer Rollen als disziplinarischer Vorgesetzter, Trainer, Moderator oder Mentor einer bestimmten Situation angemessen ist. So arbeiten Teams eigenständiger und damit erfolgreicher.

Der Industriemeister ist als industriell-technische Führungskraft definiert, die als Schnittstelle zwischen Betriebsleitung und den ihm unterstellten Mitarbeitenden vermittelt – das gehört zu seiner Rolle. Er sorgt für reibungslose Abläufe in der Produktion und überwacht die Qualitätsstandards der Herstellung. Wie er diese Aufgaben ausführt, hängt unter anderem vom Führungsverständnis in seinem Unternehmen ab und in der individuellen Interpretation seiner Aufgabe. In Hierarchien agiert der Industriemeister ausschließlich im Wortsinn als Führungskraft, also in der Rolle eines Vorgesetzten, bei dem alle Fäden zusammenlaufen.

Was ist meine Rolle?

Im skizzierten Praxisbeispiel (vgl. Kasten) hat die anstehende Veränderung die Führungskraft dazu gebracht, gedanklich über ihre Situation zu reflektieren: Was ist meine Rolle? Reicht diese aus? Oder muss ich nun eine andere Rolle übernehmen, damit das Team auch nach meinem Abschied auf dem Niveau arbeitsfähig bleibt? Diese Überlegungen haben hier zu einem Rollenbewusstsein geführt: Der vorgestellte Industriemeister muss seine Mitarbeitenden befähigen, eigenverantwortlich zu handeln und bei ihnen Wissen und Kompetenzen aufbauen.

  • Praxisbeispiel aus der Metallverarbeitung

    Für Manfred Gieshübler, Meister in der Stanzerei eines Metallverarbeitungsbetriebes im Schwarzwald, hieß es für lange Zeit: Alles hing von ihm ab. Nur er wusste genau, was zu tun ist, er hatte Wissen, Erfahrungen und Kompetenzen monopolisiert. Erstmals bewusst wurde ihm diese Situation, als sein Ruhestand immer näher rückte. Er erkannte: Die starke Ausrichtung auf seine Person ist für seinen langjährigen Arbeitgeber gefährlich. Denn was ist, wenn er nicht mehr da ist? Schlimmstenfalls weiß niemand mehr, was genau zu tun ist. Die Konsequenz: Die Stanzerei würde die gewohnte Termintreue und Qualität ihrer Aufträge gefährden. In der Folge wechselte Gieselhübler seine Rolle: Er wurde zum Lehrer (und Trainer) seines Teams. Er teilte den Kollegen sein «Geheimwissen» mit, um so den Zeitpunkt seines Austritts aus der Firma vorzubereiten.

Das Beispiel zeigt zwei Dinge: Erstens haben Führungskräfte auf dem Shopfloor nicht nur die eine Rolle des «Chefs». Zweitens hilft ein entsprechendes Rollenbewusstsein dem Unternehmen, seinen wirtschaftlichen Erfolg zu erhalten oder gar zu verbessern. Dieser Zusammenhang sollte jedem Unternehmen bei der Einführung von Shopfloor Management bewusst sein – in Industrieproduktion, Maschinen- und Anlagenbau, Automatisierungstechnik und anderen Bereichen. Beide Themen bedingen einander, denn Shopfloor Management erfordert ein geschärftes Rollenbewusstsein, um situativ flexibel und damit erfolgreich zu sein.

Rollen als Bindeglied zwischen Individuum und Organisation

Der Begriff der Rolle ist in Unternehmen weder neu noch ungewohnt, doch da es in der industriellen Fertigung in vielen Teilen um Kommunikation und Interaktion in Arbeitsgruppen geht, ist ein genauer Blick auf die Definition des Rollenbegriffs sinnvoll. Er steht in enger Verbindung mit der Metapher vom «Leben als Bühne». Schon bei Shakespeare finden sich Äußerungen, dass Menschen im Alltag Rollen spielen, ähnlich wie die Darsteller auf der Bühne. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wird die Rollenmetapher in der Wissenschaft aufgegriffen.

Nach einer frühen Definition (Linton 1936) ist die soziale Rolle eine Zuschreibung durch die soziale Umwelt einer Person. Sie beruht auf einem gegebenen Status wie Vorgesetzter oder Mitarbeiter und beschreibt Erwartungen an diese Person sowie ihre Werte, Handlungsmuster und Verhaltensweisen. Schon 1977 erkannte Richard Sennett drei wesentliche Eigenschaften einer Rolle (Sennett 1977): Erstens den Aspekt der Illusion und Täuschung als Faktor gesellschaftlichen Lebens. Zweitens erlaubt die Rolle eine Abtrennung des «inneren Wesens» eines Menschen von ihm als sozial Handelndem – sie zeigt nur Teile der menschlichen Persönlichkeit. Drittens sind Rollen bei Sennett hilfreiche Masken, um soziale Situationen besser zu bewältigen. In der aktuellen Literatur hat sich für die Rolle das Verständnis durchgesetzt, dass sich diese aus der Wechselwirkung von Selbst- und Fremdwahrnehmung herstellt (siehe z. B. Hanschk 2012, Sievers & Beumer 2000).

Jeder Mitarbeitende übernimmt eine oder mehrere Rollen

Wie wirksame Führung erzeugt werden kann

Unternehmen unterliegen immer mehr Einflüssen, die es mittels wirksamer Führung zu bearbeiten gilt. Rollen in Unternehmen sind vor diesem Hintergrund wichtige Hilfen bei der Bewältigung der Komplexität des Arbeitslebens. Jeder Mitarbeitende übernimmt eine oder mehrere Rollen, so wie im oben genannten Beispiel zu sehen. Aufgrund der fortwährenden Veränderungen in Organisationen ist von den unterschiedlichen Rolleninhabern eine dauernde Anpassungsleistung gefordert. Rollen ändern sich, werden vielfältiger und sie werden komplexer. Das Aushandeln ihrer Definition nimmt mehr Raum ein. Die Rolle muss von den Mitarbeitenden verstanden, anerkannt und akzeptiert werden, nur so wird sie auf Dauer wirksam. Dies erfordert eine stärkere Kommunikation als früher üblich und es entstehen deutlich häufiger Rollenkonflikte. Erforderlich wird dadurch ein starkes Rollenbewusstsein: Die reflexive Klarheit über die verschiedenen Rollen in einem Team, einer Abteilung oder innerhalb der Führungs-Mannschaft.

 

Rollen im Shopfloor Management

Rollen sind in einem Unternehmen das Bindeglied zwischen Individuum und Organisation. Im Shopfloor Management oder ganz allgemein im Lean Management ist deshalb die Rolle der Führungskraft immer der Anknüpfungspunkt. Ein wichtiges Erfolgskriterium ist dabei, eine gemeinsame Problemdefinition zu finden und erst danach über Lösungen zu diskutieren. Dies erfordert gegenüber herkömmlichen Führungssystemen von den Führungskräften deutlich mehr Zurückhaltung. Sie müssen bereit sein, die Mitglieder ihrer Arbeitsgruppe bei der Ideenfindung zu unterstützen, sodass diese selbst Lösungen erarbeiten und umsetzen.

Führungspersonen agieren im Shopfloor Management nicht mehr ausschließlich als klassische Vorgesetzte, die Anweisungen erteilen. Stattdessen werden andere Aspekte wichtig, die häufig unter dem Begriff Soft Skills laufen. Dazu gehören z. B. gegenseitiger Respekt, Kommunikation, aktives Zuhören, eine Feedback-Kultur und der Verzicht auf Schuldzuweisungen. Für die Führungskraft bedeutet dies, ihre Mitarbeitenden nach ihren Ideen für die Problemlösung zu fragen und sie zu befähigen, eine strukturierte Vorgehensweise umzusetzen. Kurz: Die Einstellungen und Fähigkeiten sowie das Verhalten der Führungskraft sind hier anders, als in traditionellen Unternehmen üblich.

Illusion der kompletten Kontrolle

In der hierarchischen Organisation hat die Führungskraft die Illusion, die komplette Kontrolle über alle Entscheidungen zu haben. In vielen Unternehmen ist das bis heute so. Der «disziplinarische Vorgesetzte» ist die typische Rolle für Führungskräfte, die ihren Status zumeist aufgrund fachlicher Expertise und Erfahrung erhalten. Doch mittlerweile sind Produktionsprozesse komplexer als früher. Sie erfordern schnelle Entscheidungen und rasches Eingreifen, etwa bei Störungen und anderen kritischen Situationen. Die Führungskraft kann dies nicht vollständig überblicken. Daraus lässt sich die Anforderung an das Personal ableiten, möglichst rasch eigenverantwortlich zu handeln – ohne Entscheidungen durch eine andere Instanz

Dies bedeutet aber, dass die Führungskraft Verantwortung abgeben und zugleich Vertrauen zu den Mitarbeitenden aufbauen muss. Die für eine Führungskraft üblichen Rollen erweitern sich also, beispielsweise um jene als Trainer oder Mentor bei der Einarbeitung von neuen Mitarbeitenden (Kotter 1985). Im Shopfloor Management hat eine Führungskraft vier verschiedene Rollen, nämlich die des disziplinarischen Vorgesetzten, Trainers, Moderators und Mentors.

„Im Shopfloor Management hat eine Führungskraft vier verschiedene Rollen, nämlich die des disziplinarischen Vorgesetzten, Trainers, Moderators und Mentors.“

Die vier verschiedenen Rollen

Disziplinarischer Vorgesetzter: In dieser Rolle geht es um schnelles und effektives Steuern einer Situation. Die Führungskraft trifft Entscheidungen über die weitere Vorgehensweise und teilt den Mitarbeitenden klar ihre Erwartungen mit. Darüber hinaus gibt sie Anweisungen für die künftige Vorgehensweise und delegiert Aufgaben.

Moderator: Aufgabe des Moderators ist es, Ergebnisse und Entscheidungen herbeizuführen, ohne direkte Anweisungen zu geben und ein bestimmtes Ergebnis zu bevorzugen. Er fördert die Diskussion, gibt Raum für Meinungen und erzeugt einen Konsens. Die Mitarbeitenden können ihre eigenen Schlüsse aus dem Verlauf der Diskussion ziehen.

Trainer: Hier erkennt die Führungskraft Lücken in den Kenntnissen und Fähigkeiten jedes Teammitglieds. Ihre Aufgabe ist es, jedem Mitarbeitenden genau diese fehlenden Kompetenzen und Wissenselemente zu vermitteln.

Mentor: In dieser Rolle agiert eine Führungskraft als «persönlicher Berater» für einzelne Mitarbeitende. Sie unterstützt den Mentee bei der Entwicklung einer eigenständigen Lösung für die anstehenden Probleme. Und sie liefert Anregungen und Beispiele, zeigt jedoch keine fertigen Lösungsvorschläge, sondern höchstens Alternativen auf.

Diese vier Rollen unterscheiden sich nach dem Grad der Beteiligung der einzelnen Mitglieder eines Teams: In der disziplinarischen Rolle agiert die Führungskraft allein, die Mitarbeitenden werden nicht aktiv beteiligt – sie sind lediglich Ausführende. Eine gewisse Beteiligung der Teammitglieder ist bei der Rolle des Trainers notwendig, da hier beispielsweise Fragen und eigene Überlegungen wichtig sind. Für den Moderator ist die Mitarbeit des Teams unerlässlich, da hier Problemlösungen und Entscheidungen gemeinsam entwickelt werden. Mentoring erfordert eine noch höhere Beteiligung, denn der Mentee – also die begleitete Person – agiert weitgehend eigenverantwortlich. Der Mentor macht nur wenige Vorgaben, er wirkt vielmehr als Korrektiv und schafft Raum zur Reflexion und für eigene Erkenntnisse für den Mentee.

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Dr. Dirk Bayas-Linke
Prinicipal Staufen AG
Ulrich Beck
Senior Expert Staufen AG

Bei diesem Text handelt es sich um einen Beitrag in der Ausgabe 4/2019 der ZOE, den wir Ihnen hier exklusiv kostenlos zur Verfügung stellen.