So häufig diese Appelle bemüht werden, so selten scheinen sie reflektiert zu sein. Inwieweit helfen sie tatsächlich, das Schiff der Veränderung in den nächsten sicheren Hafen zu führen? Diese Reflexionslücke erscheint besonders problematisch, da die Veränderungsfähigkeit von Organisationen in besonderem Maße von der Digitalisierung und der sich anbahnenden Klimakatastrophe herausgefordert wird. Ist die Rede vom Mitnehmen eine leere Formel? Oder haben wir es bei der Unterscheidung in Mitnehmende und Mitzunehmende mit einer leistungsfähigen Unterscheidung zu tun?
Das schwierige Erbe der deutschen Managementphilosophie
Die Ursprünge dieser den deutschen Managementdiskurs so dominierenden Unterscheidung lassen sich spätestens in Erich Gutenbergs «Einführung in die Betriebswirtschaftslehre» aus dem Jahre 1958 finden. Darin beschreibt Gutenberg die Aufgabe der Leitung des Betriebs als ertragreiche Kombination der Elementarfaktoren der menschlichen Arbeitsleistung, der Betriebsmittel und der Werkstoffe unter Zuhilfenahme der Planung und der Organisation. Der Leitung kommt hier die Funktion eines dispositiven Faktors zu, welcher den Betrieb entlang seiner Vorentscheidungen zu ordnen hat. Nach Gutenberg haben wir es in Betrieben also einerseits mit dispositiven Entscheidern zu tun, und andererseits mit denjenigen, die ihre Arbeitsleistung anbieten, auf Betriebsmittel und Werkstoffe beziehbar machen und dafür durch dispositive Entscheidungen in Position gebracht werden. Hier die Schiffsbrücke, dort der Maschinenraum.
Die Rede vom Mitnehmen reproduziert bis heute diese grundlegende Unterscheidung von Organisationsmitgliedern in die jenigen, die vorne sind und wissen, was anzusteuern ist und solche, die für die Exekution dieses Kurses nötig sind. Auch wenn wir wohl liberaler geworden sind, und die Leitung in vielen Organisationen vorübergehend auch von einzelnen Fachabteilungen eingenommen wird, hat sich an dieser grundlegenden Unterscheidung wenig geändert. Es wird weiterhin eine Unterscheidung reproduziert, die bei genauerer Beobachtung durch ihre besticht: Wer zum Mitnehmen und Abholen aufruft und deren Wichtigkeit betont, unterstellt, dass er oder sie wisse, wo es hingehe und sich schon im Boot befinde, während dahingegen dem Rest zugeschrieben wird, relativ passiv, träge und widerständig zu sein und sich jedenfalls noch nicht an Bord zu befinden. Organisationale Veränderung wird so als ein asymmetrisches Geschehen konzeptualisiert, welches sich durch prinzipiell differente Geschwindigkeiten und Aktivitätsniveaus auszeichnet, und genau diese Differenz zu bearbeiten hat.
Doch warum hält sich diese Unterscheidung so stabil, wenn der Verdacht doch naheliegt, dass sie eine äußerst problematische Seite haben könnte? Was ist ihre Funktion?
Leistungen der Unterscheidung
Zum einen ermöglicht die Rede vom Mitnehmen in Veränderungsprojekten, sich dafür zu sensibilisieren, dass ihr Erfolg in erheblichem Maße von Entscheidungen der Mitarbeitenden abhängt. Wanda Orlikowski (2000) hat auf die Bedeutung dieser Entscheidungen in Bezug auf neue IT-Systeme hingewiesen, in deren Hand es liege, ob sich Arbeitspraxen nur anpassen oder auch tatsächlich transformieren. Dementsprechend ent wickelt sich um Veränderungsprojekte in vielen Betrieben eine rege Betriebsamkeit dazu, akzeptanzsteigernde Maßnahmen und «bessere» Kommunikation anzustrengen, die zahlreiche Agenturen und Beratungen beschäftigt halten.
Zum anderen kommt die Rede vom Mitnehmen einer moralischen Kommunikation gleich, die gegen Kritik immunisiert. Wer offen kommuniziert, mitnehmen zu wollen, dem kann kaum widersprochen werden, so löblich und geachtet erscheint seine Intention. Man signalisiert, «den Menschen» im Blick zu haben und sichert sich damit schon für spätere Kritik am Veränderungsprojekt ab. Denn dann kann man hervorheben, dass man immer mitnehmen wollte.
So sehr sich die Rede vom Mitnehmen in diesem Sinne als funktional erweist, so zielsicher steuern in ihr fundierte Ver änderungsprojekte immer wieder dieselben problematischen Nebenfolgen an.
Probleme der Unterscheidung
Schein-Konsense: Erfolgreiche Absprachen im Management leben davon, dass sie ein synchronisiertes Handeln ermöglichen und zugleich Freiheitsgrade lassen, um auf lokale Gegebenheiten reagieren zu können. Bezüglich der Schlagworte wie Mitnehmen und Abholen zeigt sich vielerorts, dass sie als leere Signifikanten (Laclau, 2010) dienen. Durch ihren niedrigen Definitionsgrad wirken sie einerseits integrativ, indem sie die Bildung neuer ScheinKonsense ermöglichen. Jede*r scheint zu wissen, was Mitnehmen konkret bedeutet. Andererseits entstehen mit der Nutzung dieses leeren Signifikanten auch große Freiheits grade dafür, die Rede vom Mitnehmen mit ganz unterschiedlichen Bedeutungsgehalten zu füllen. Der eine versteht unter Mitnehmen die gute Kommunikation fertig vorbereiteter Entscheidungen. Die andere nimmt mit, indem sie Entscheidungen in Runden mit den von ihnen potenziell Betroffenen zur Disposition stellt. Solche unterschiedlichen Auffassungen sind häufig in ein und demselben Betrieb zu finden. Dort treffen sie auf Belegschaften, die ein eigenes Verständnis dazu generieren, was es bedeutet, richtig mitzunehmen bzw. richtig mitgenommen zu werden. In der Folge bilden sich in Belegschaften nicht selten zynische Haltungen heraus, da sich die gleichfalls vom Management beeinflussten Erwartungen zum Mitnehmen bzw. zum Mitgenommenwerden nur in Teilen mit dem Handeln des Managements decken (vgl. Brunsson, 2003). Solche Zynismen kön nen Veränderungsprojekte wie ein Schatten begleiten.
«Die Rede vom Mitnehmen kommt einer moralischen Kommunikation gleich.»
Passivität: Nach Günther Ortmann (2021) sind die unseren Diskursen unterliegenden Fiktionen dafür entscheidend, welche «künftige Realität … durch ein Sotunalsob gerade hervorge bracht» wird. Diese Beobachtung spiegelt sich auch in der Rede des Mitnehmens wieder. Denn wo Mitarbeitende vom Management als Mitzunehmende und noch nicht im Boot der Veränderung befindliche Abzuholende adressiert werden, werden sie performativ tatsächlich zu jenen relativ passiven Mitarbei ter*innen, die mitgenommen werden wollen. Aus dem Kommunizieren und Handeln des Managements im Modus des Als-Ob (Ortmann, 2021) entsteht so die Realität, gegen die man eigentlich anzugehen versucht. Denn in der Rede vom Mitnehmen und Abholen erfahren sich Mitarbeitende stärker als die, die sich außerhalb des Boots befinden, als solche, von denen Veränderungsimpulse ausgehen und die bei der Kurssetzung gefragt sind. Dadurch werden auch all jene Kommunikationen ange regt, die das Management als Meckern beschreibt und in vielen Fällen zum Verzweifeln bringt. Die Passivität mancher Mitarbeitenden und die tatsächliche Notwendigkeit sie mitzunehmen, ist mindestens so sehr die Folge der Rede über das Mitnehmen wie ihr Ausgangspunkt.
Lernblockade: Wenn der Fokus in Veränderungsprojekten da rauf liegt, wie andere mitgenommen werden können, schrumpft zugleich das Potenzial, aus dem Misserfolg von Veränderungsvorhaben zu lernen. Denn bei Misserfolgen liegt es dann nahe, entweder ein mangelhaftes Mitnehmen zu monieren oder aus gehend vom Befund, man habe doch alle mitgenommen, die Veränderungsfähigkeit und willigkeit der Mitzunehmenden in Zweifel zu ziehen. Anstatt also die grundlegenden Entschei dungen der Veränderung und ihr was zu hinterfragen oder die Unterscheidung in Mitnehmende und Mitzunehmende zu reflektieren, geraten die Personenhaftigkeit der Mitzunehmend en und die Form des Mitnehmens in den Fokus.
Angesichts dieser möglichen Nebenfolgen der Management philosophie des Mitnehmens stellt sich umso stärker die Frage, wie sich diese so transformieren lässt, dass sie bei der Gestaltung der radikalen Umbrüche unserer Zeit eher helfen kann, als diese zu erschweren?
Gutenberg 2.0?
Bei Erich Gutenberg lässt sich die Grundlegung dieser problematischen Denkfigur genauso finden wie ein Ansatz für ihre Weiterentwicklung. Schon 1958 konstatierte Gutenberg, dass neben den führenden Eigentümer*innen der Unternehmen häufig auch deren Mitarbeitende und damit NichtEigentümer* innen Einfluss auf die Richtungsentscheidungen des Betriebs haben. Es muss deshalb schon mit Gutenberg an einer einfachen Verortung des dispositiven Faktors gezweifelt werden, und stattdessen eine betriebliche Willensbildung zu Führungsentscheidungen unterstellt werden. Wir befinden uns – ob wir wollen oder nicht – in Verhältnissen, in denen von allen Seiten Führungsimpulse in Prozesse betrieblicher Willensbildung ein münden. Wenn die Hierarchie hierauf damit reagiert, dass sie diese Multipolarität im Sinne der Unterscheidung des Mitneh mens zu ordnen versucht, dann vereinfacht sie diese Verhältnisse und fällt letztlich hinter Gutenberg und die Entwicklungen zu einer immer komplexeren Gesellschaft zurück. Dabei zwingt uns die Multipolarität der betrieblichen Willensbildung und erst recht die neu einsickernde Philosophie der Agilität (Schwaber & Sutherland, 2020) geradezu, die Frage des Mitnehmens umzudrehen: Wie können sich die Hierarchie und auch andere Akteure, die die Funktion des dispositiven Faktors situativ übernehmen, selbst mitnehmen lassen? Und von wem oder was muss man sich dann mitnehmen lassen?
Erst entlang solcher Fragen lassen sich Veränderungsprojekte jeweils an den Umwelten ausrichten, um die es ihnen geht. So können Veränderungsprojekte am Kunden oder einer spezifischen Rolle in der eigenen Organisation orientiert werden, anstatt vor allem den Kontrollansprüchen der Hierarchie und ih ren Fiktionen zu genügen. Damit landen wir bei einer Paradoxie, für die uns die Kybernetik (Glanville, 1987) informieren kann: Wer in Organisationen planen und andere mitnehmen möchte, muss sich vor allem die Frage stellen, wie er sich von diesen Anderen (und welchen genau), mitnehmen lassen kann. Das Forschungsprojekt KILPaD, welches vom BMBF gefördert im Ver bund an der Universität Witten/Herdecke Kommunikation, In novation und Lernen in der Produktionsorganisation unter Bedingungen agiler Digitalisierung erforscht, zeigt: wer die Arbeitsinformationen in der Produktion digitalisieren möchte, muss sich von den Problembeschreibungen der Arbeitsvorbereitenden und Maschinenbediener*innen vor Ort mitnehmen lassen, anstatt sie zu bloßen Multiplikator*innen von Vorentschiedenem zu machen. Andernfalls hat die Digitalisierung der Produktion kaum die Chance, in den mannigfaltigen Entscheidungen der Produktion einen Unterschied zu machen.
Dass dem dispositiven Faktor in der Kombination der Elementarfaktoren der Arbeitsleistung, Betriebsmittel und Werkstoffe weiterhin eine wichtige Rolle zukommen wird, erscheint auch in unseren komplexen gesellschaftlichen Verhältnissen naheliegend. Eine Koordination der Kombination dieser Variablen ist weiterhin nötig, wenn man Kund*innen immer wie der aufs Neue zufriedenstellen möchte. Auch wenn sich dieser dispositive Faktor in Unternehmensorganisationen immer dynamischer umverteilt, muss er stets im Blick halten, von wem er sich für den nachhaltigen Erfolg der NeuKombination der Elementarfaktoren mitnehmen lassen muss, um diese schlussendlich mitnehmen zu können. In der aufziehenden nächsten Gesellschaft (vgl. Baecker, 2007) stellt dies eine, wenn nicht die zentrale Change-Kompetenz dar.
Je nach Veränderungsprojekt gilt es die Frage des Mitnehmen-Lassens neu zu stellen. Die betriebliche Praxis zeigt viele Anstrengungen in diese Richtung, wenn beispielsweise in Projektteams diskutiert wird, wo dem eigenen Urteil über die Anwendenden nicht getraut werden sollte, sondern diese über Workshops oder ein ernsthaftes Prototyping ins Mitentscheiden gebracht werden müssen.
Um der Entstehung von Zynismen in der Belegschaft und folgenschwerer ScheinKonsense unter Projektbeteiligten vor zubeugen, erscheint es notwendig, die Frage des Mitnehmen-Lassens immer wieder zum Anlass zu nehmen, sich darüber zu verständigen, was Mitnehmen-Lassen denn konkret bedeuten könnte und sollte (vgl. Abbildung 1). Nur so wird aus dem potenziell riskanten leeren Signifikaten des Mitnehmens ein Thema, das der erfolgreichen Veränderung der Organisation mehr dient, als sie zu behindern und mit gefährlichen Folgeproble men zu versorgen, die schon die nächsten teure Change-Projekte oder Teambuilding-Maßnahmen nötig machen.
Die Fragen aus Abbildung 1 legen nahe, dass sich Veränderungsprojekte deutlich konkreter mit den Arbeitspraxen aus einandersetzen werden müssen, wenn sie die Aussicht wahren möchten, diese zumindest in Ansätzen zu transformieren. Anstatt beispielsweise die Instandhalter*innen von oben zur prädiktiven Instandhaltung durch neue digitale Systeme anzuhalten und auf diese Reise mitnehmen zu wollen, sollte die konkrete Instandhaltungspraxis als Ausgangspunkt für ihre Transformation genommen werden. Wie kann man sich von der Instandhaltung auf dem Weg zu einer prädiktiveren Instand haltung mitnehmen lassen? Wo empfindet sich die Instandhaltung schon heute als prädiktiv, und wo sind Hindernisse, die es ihr erschweren noch stärker vorausschauend zu arbeiten? Wie könnten digitale Systeme helfen? Nur wenn sich Veränderungsprojekte derart von lokalen Problembeschreibungen mitnehmen lassen und allzu theoretisch und global gehaltenen Veränderungsansprüchen im Schema des Mitnehmens misstrauen, werden sie die Transformationsherausforderungen realistischer einschätzen und bearbeitbar machen. Nur wenn Veränderungsprojekte diese unmittelbare Verbindung zu den durch sie fokussierten Arbeitspraxen aufweisen und die Mitarbeitenden als lernfähig und nicht einfach nur als im oder außerhalb des Boots befindliche Akteure unterstellen, werden Dynamiken möglich, die Veränderungsvorhaben tragen und den Wegweisen, anstatt sie zur Plattformen der Bemängelung der Trägheit von Mitarbeitern zu machen.
Eine Gesellschaft im Change?
Kaum jemand wird bestreiten, dass sich die Gesellschaft min destens so sehr in einer Phase der grundlegenden Transformation befindet wie ihre Organisationen. Auch im gesellschaftlichen Diskurs ist vielerorts die Rede vom Mitnehmen zu vernehmen. Beispielhaft kündigen sich in Bezug auf die Transformation der Kohlereviere gegenwärtig wieder diejenigen an, die die Menschen vor Ort mitnehmen und bei ihnen für Akzeptanz werben wollen. Damit unterstellen sie gleichsam latent, dass sie unabhängig vom Diskurs mit diesen Mitzunehmenden wüssten, wo es hingehen müsse. Umso wichtiger erscheint das Desiderat, in Organisationen die Change-Kompetenz des Mitnehmen-Lassens auszubilden. Die Gesellschaft könnte auch jenseits ihrer Unternehmensorganisationen davon profitieren.
Maximilian Locher
Wiss. Mitarbeiter im BMBF-Projekt KILPaD Universität Witten/Herdecke, Berater bei Metaplan
Literatur
• Baecker, D. (2007). Studien zur nächsten Gesellschaft, Suhrkamp.
• Brunsson, N. (2003). The Consequences of Decision-Making: Talk, Decisions and Actions in Organizations, 2. Aufl., Copenhagen Business School Press.
• Glanville, R. (1987). The Question of Cybernetics, Cybernetics and Systems: An International Journal, 18(2), 99-112.
• Gutenberg, E. (1958). Einführung in die Betriebswirtschaftslehre, Gabler.
• Laclau, E. (2010). Emanzipation und Differenz, 3. Aufl., Turia + Kant.
• Luhmann, N. (2000). Organisation und Entscheidung, Westdeutscher Verlag.
• Orlikowski, W. J. (2000). Using Technology and Constituting Structures: A Practical Lens for Studying Technology in Organizations, Organization Science, 11(4), 404-428.
• Ortmann, G. (2021). Tom & Jerry. Über notwendige Fiktionen, in: Priddat, B. & Künzel, C. (hrsg.), Fiktion und Narration in der Ökonomie: Interdisziplinäre Perspektiven auf den Umgang mit ungewisser Zukunft, Metropolis.
• Schwaber, K. & Sutherland, J. (2020). The Scrum GuideTM – The Definitive Guide to Scrum – The Rules of the Game, November 2020, abgerufen am 23.07.2021 unter: https://zoe.ch/scrum-guide