Kleines ABC des Streitens

Ein Glossar zum Thema Dissens

Ansätze, Erfolgsfaktoren und Fachbegriffe für Konflikt-Kompetenz und eine organisationale Dissens-Kultur. In unserem kleinen ABC des Streiten bringen wir die wichtigsten Begriffe zum Thema Dissens auf den Punkt.

Meinungsverschiedenheiten können Wandelprozesse verzögern oder gar zum Scheitern bringen. Sie sind jedoch auch eine Chance, dazuzulernen und Probleme zu antizipieren. Dafür braucht es neben einer organisationsweiten Streitkultur echte Dissens-Kompetenz. Um diese zu fördern, kann das nachfolgende ABC gute Dienste leisten. Es versucht, mit einem Augenzwinkern, wichtige Ansätze und Erfolgsfaktoren des produktiven Streitens auf den Punkt zu bringen. Zudem erklärt das kleine ABC des Streitens einige wichtige Fachbegriffe aus der einschlägigen, oft englischsprachigen Verhandlungs- und Konfliktmanagement-Literatur. Wir hoffen, Sie sehen das (nicht) anders.

Argument

Z.B. bei einer Debatte oder Meinungsverschiedenheit: Eine Reihe von logisch verknüpften Belegen, um eine These oder Meinung zu stützen. Eine alternative Definition: Wenn Sie recht haben, es andere aber noch nicht kapieren.

BATNA

(Best alternative to a negotiated agreement): Was einem als Rückzugsposition bleibt, wenn man bei einer Diskussion keinen Konsens erreicht. Die BATNA ist ein zentrales Konzept der Harvard Verhandlungsmethode von Fisher, Ury und Patton («Getting to Yes»). Bevor man sich in eine Verhandlung oder eine Streitdiskussion begibt, sollte man sich klar machen (am besten schriftlich), was als beste Alternative bleibt, falls man sich nicht einig wird.

Blindwiderstand: siehe Reaktanz

 

Believability Weighting (Glaubwürdigkeitsgewichtung)

Gemäß Finanzgenie Ray Dalio (in seinem Buch «Principles») besteht eine Glaubwürdigkeitsgewichtung daraus, dass man bei einer Meinungsverschiedenheit die Expertise der jeweiligen Person auf dem Streitgebiet explizit einbezieht und entsprechend gewichtet.

CFU (Checking for Understanding)

Eine wichtige Streitregel, die folgendes besagt: Bevor man jemanden attackiert, sollte man zunächst sicherstellen, dass man die Meinung (und dahinterliegende Annahmen) des anderen auch wirklich versteht und diese/r die eigene Sicht zumindest korrekt verstanden hat. Vgl. auch > Fragen

Delphi-Methode

Bei dieser Befragungsmethode werden in zwei Runden Expertenmeinungen zu einer Fragestellung (schriftlich) gesammelt und dann wiederum den Experten zur Kommentierung zur Verfügung gestellt. Konsens- und Dissens-Bereiche der Experten werden so sichtbar und diskutierbar.

Disagree and commit

(«erst streiten, dann mitreiten») Dieses Managementprinzip besagt, dass Meinungsverschiedenheiten vor allem in der frühen Phase eines Entscheidungsprozesses gefördert werden sollten, so dass nach der Entscheidung das gesamte Team diese mitträgt. Das Prinzip versucht, eine Dissens-Paralyse zu vermeiden, indem früh und zeitlich begrenzt Dissens kultiviert wird.

Dissens (expliziter oder impliziter)

Aus dem lateinischen dissentire = uneins sein. Ein Zustand, bei dem (bewusst oder unbewusst) Meinungsverschiedenheit (z. B. in einer Gruppe) herrscht. Das Gegenteil von > Konsens. Eine alternative Definition: eine wunderbare Gelegenheit, um dazu zu lernen und durch Perspektivenvielfalt ein ganzheitlicheres Bild einer Sachlage zu gewinnen (wenn man ausreichend > Empathie mitbringt).

Empathie

Die Fähigkeit, sich in die Perspektive des anderen einzufühlen, z. B. dessen Position, Emotionen und Geschichte zu verstehen, statt ihn oder sie nur zu verurteilen. Definition der amerikanischen Ureinwohner: Eine Meile in den Mokassins eines anderen gehen.

Fragen

konstruktive, verständnisorientierte, offene und respektvolle Fragen sind das wichtigste Instrument für Konfliktlösung, Verhandlungsführung, oder Streitklärung. Meine Top 3 Fragen für richtiges Streiten sind: 1. Was meinst Du damit? 2. Was brauchst Du von mir? 3. Wie können wir hier gemeinsam weiterkommen?

Fixe Positionen

Gemäß der Harvard Verhandlungsmethode eine der größten Barrieren für Konsens oder gute Verhandlungsresultate. Anstatt auf einer fixen, unflexiblen Position oder Meinung zu beharren, sollte man offen kommunizieren und die eigenen Interessen und Grundannahmen mit den anderen teilen und so ganz neue Konsens-Lösungen ermöglichen.

Groupthink

Ein gruppendynamisches Phänomen, bei dem ein Scheinkonsens entsteht, weil sich Andersdenkende aufgrund von subtilem Gruppendruck selbst zensieren und ihre Meinung zurückhalten. Alternative Definition: eine Art kommunikativer Team-Autismus, bei dem sich eine Gruppe gegen (interne und externe) Kritik immunisiert und deshalb wichtige Informationen, Risiken oder Nebenziele ignoriert.

Gruppenpolarisierung

Ein gruppendynamisches Phänomen, bei dem Meinungsverschiedenheiten eskalieren, weil man sich von der anderen Teilgruppe abgrenzen möchte und insbesondere (vor der eigenen Subgruppe) nicht als Verlierer dastehen will. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Diskussion radikalisieren sich gegenseitig und entwickeln Extrempositionen, statt einen Konsens zu finden.

Hierarchie

Für richtig gutes Streiten, Argumentieren und Konfliktlösen ist eine starre Hierarchieorientierung oft hinderlich. Ermöglichen Sie, wenn immer machbar, ein möglichst hierarchiefreies Streit-Ambiente, bei dem das beste Argument zählt. Wie dies gelingt? Indem die Ranghöheren ihre Argumente jeweils als Letzte präsentieren.

Interessen

Die gemeinsamen Interessen der Streit- oder Verhandlungspartner zu klären und zu betonen, schafft Vertrauen und Lösungsmöglichkeiten. Eigene Interessen und Bedürfnisse mit anderen zu teilen, ist oft hilfreicher, als die Betonung der eigenen > fixen Positionen.

Jasager

Achten Sie gerade als Führungskraft darauf, dass Sie sich nicht nur mit Jasagern umgeben, die Entscheide direkt übernehmen, ohne sie in Frage zu stellen (vgl. auch > kill the messenger). Kultivieren Sie stattdessen eine Debatten- oder > Streitkultur.

Konfliktvermeidung

Statt sie zu klären, kann man Konflikte natürlich auch ignorieren, verharmlosen, verschieben, oder verdrängen. Keine dieser Taktiken hilft letztlich. Konfliktvermeidung kann Streitigkeiten im Endeffekt verschlimmern. Es gilt jedoch, den richtigen Zeitpunkt für die Konfliktaustragung zu wählen (z. B. bezüglich emotionaler, sozialer und örtlicher Lage).

Konsens

Die übereinstimmende Meinung von Personen zu einer bestimmten Frage, Problematik oder Sachlage ohne verdeckten oder offenen Widerspruch. Alternative Definition: Das mögliche Endresultat einer radikal offenen, sachbezogenen Diskussion ohne Statusdenken und versteckte Absichten.

Konsentverfahren

Das Konsentverfahren ist ein alternatives Entschlussfassungsverfahren, bei dem eine Entscheidung erst dann als getroffen gilt, wenn keine/r, der/die am Prozess der Entscheidungsfindung Involvierten einen wesentlichen Einwand hat.

Kognitive Dissonanz

Eine Art intrapersonaler Dissens, bei der eine Person gleichzeitig zwei verschiedene, unvereinbare Meinungen hält; also etwa, wenn man entgegen einer festen Überzeugung etwas tut, z. B. raucht, obwohl man weiß, dass es schädlich ist. Diesen impliziten internen Dissens löst man für sich meist dadurch, dass man eine der beiden Überzeugungen relativiert bzw. weniger wichtig nimmt. Eine echte Lösung des Problems ist dies nicht.

Kill the messenger

Wenn Mitarbeitende, die Ihnen schlechte Nachrichten oder alternative Meinungen bringen von Ihnen schlecht behandelt werden (z. B. mit abschätzigen Kommentaren), so nennt man das «kill (oder shoot) the messenger». Der Leitsatz für Manager lautet deshalb: don’t shoot the messenger (of bad news)! Wenn andere sehen, dass Sie Mitarbeitende, die sich kritisch äußern, nicht schätzen, schaffen Sie unbewusst eine > Jasager– Kultur statt eine > Streitkultur.

Low Lights

Um eine selbstkritische (> Streit-)Kultur bei Microsoft zu schaffen, bat Bill Gates seine Mitarbeitenden, bei jedem Projekt Review Meeting als allererste Folie die sogenannten Low Lights des Projektes zusammenzustellen, also all das zu benennen, was im Projekt nicht gut funktioniert hat. Oft ergab das lebhafte Debatten, darüber wie man diese Fehler hätte vermeiden können und wie man in Zukunft besser vorgehen könnte. Falls eine Führungskraft diese Low Lights nicht proaktiv einfordert, kann dies zu einer Pseudokonsens- oder Kuschelkultur führen.

Mediation

Ein Ansatz zur außergerichtlichen Schlichtung von Konflikten unter Zuhilfenahme eines Mediators und eines Mediationsprozesses.

Normenkonflikt

Wenn Regelungen oder Werte einander widersprechen oder nur schwer vereinbar sind. Gelöst werden derartige Konflikte indem entweder eine Norm (von den Beteiligten) höher gewertet wird oder sie durch eine höhere Instanz bestimmt wird.

Optionen

Bei Konflikten sollte man sich über Lösungsmöglichkeiten streiten und nicht gegen Menschen argumentieren.

Pareto-Optimum

Ein Zustand, bei dem es nicht möglich ist, ein Ziel zu verbessern, ohne ein anderes zu verschlechtern bzw. eine Person besser zu stellen, ohne zugleich eine andere schlechter zu stellen. Es sollte in der Regel so lange gestritten bzw. verhandelt werden, bis ein solcher Pareto-Zustand erreicht wird (sonst vergibt man sich Optimierungspotenzial das niemandem schadet, aber einigen nützen kann).

Reaktanz

Eine fast automatische Abwehrreaktion gegen innere oder äußere Einschränkungen. Auch bekannt unter dem Begriff Blindwiderstand. Wird Mitarbeitenden z. B. mitgeteilt, dass ab sofort keine fixen Arbeitsplätze mehr zur Verfügung stehen (Stichwort hot desking), so richten diese erst recht gewisse stabile Arbeitsbereiche im Büro ein.

Respekt

Man sollte versuchen, sich auch bei großen Meinungsverschiedenheiten respektvoll gegenüber anderen zu verhalten. Das bedeutet beispielsweise, auf Beleidigungen oder gar Drohungen zu verzichten und einander ausreden zu lassen.

Scheinkonsens

Wenn es (oder jemand) den Anschein erweckt, als ob alle einer Meinung sind, obwohl einzelne nicht einverstanden sind (z. B. aufgrund von > Groupthink)

Streitkultur

In einer Streitkultur werden Meinungsverschiedenheiten als alltäglich und wertvoll angesehen. Streitigkeiten werden zügig, offen, fair, konstruktiv und selbstverantwortlich ausgetragen.

Typen von Dissens

Auf welche Weise kann man uneins sein? In der einschlägigen Literatur werden Meinungsverschiedenheiten nach deren Grundursachen (z. B. Werte- versus Wissenskonflikte), Erscheinungsformen (z. B. spontan/eskalierend versus latent/unterschwellig), Handhabung (z. B.: unterdrückt versus visualisiert) und Auswirkungen (z. B. korrosiv versus produktiv) unterschieden.

Unkenntnis der Widerlegung (ignoration elenchi)

Damit wird jener Argumentationsfehler bezeichnet, dass man etwas anderes beweist (oder widerlegt) als das, was gerade zur Diskussion steht. Ein derartiges argumentatives Abdriften kann bewusst als Ablenkungsmanöver oder unbewusst als Denkfehler erfolgen. Hier hilft es, Fokussierungsfragen zu stellen, um produktiver streiten zu können (z. B.: Ist das wirklich der Kern Deines Argumentes?).

Visualisierung

Meinungsverschiedenheiten können besser verstanden und gelöst werden, wenn sie visuell dargestellt und besprochen werden. Hierzu gibt es zahlreiche grafische Möglichkeiten, von Venn-Diagrammen (mit überlappenden und unterschiedlichen Meinungen) bis hin zu sogenannten Toulmin-Argumentenkarten. Bei online Befragungen können unterschiedliche Meinungen als einzelne Punkte in einer Auswertungsgrafikdargestellt werden.

Widerspruch

Außerhalb der Jurisprudenz wird damit der Einwand gegen ein Argument bezeichnet. Ein Widerspruch sollte präzise, respektvoll und begründet sein.

ZOPA (Zone of possible agreement)

Dieses Konzept aus der Harvard Verhandlungsmethode bezeichnetdas mögliche Lösungsspektrum bei einer Verhandlung oder Diskussion. Dieser Übereinstimmungsbereich entsteht, wenn es überlappende Konsenszonen der involvierten Parteien gibt. Das bedeutet also, harvardisch gesprochen, dass es zwischen den beiden > BATNA von Verhandlungsteilnehmern idealerweise eine ZOPA gibt.

 


Aus Ausgabe Nr. 2/21: Dissens Designen – Streit als Motor des Wandels

Streiten hat keinen guten Ruf. Den meisten von uns ist auch bei der Arbeit Einigkeit lieber als ein Konflikt. Dabei bietet produktives Streiten eine großartige Möglichkeit, zu lernen – gerade im organisationalen Kontext und beim Management von Veränderungen.

Im Schwerpunkt dieser Ausgabe geht es daher um die Frage: Wie können wir richtig streiten?  Die Kompetenz zum produktiven Dissens vermitteln wir durch Beiträge von Koryphäen, Methodeberichte und Kurzimpulse. Freuen Sie sich auf eine kontroverse Lektüre!