Das ABC der Fakeness

Ein Glossar des schönen Scheins

Wenn Ankündigungsweltmeister auf der Vorderbühne der Organisation Bilanzkosmetik inszenieren… Die schönsten Begriffe rund um Fake Change entlarvend auf den Punkt gebracht.

Ankündigungsweltmeister

Durch die permanente Kommunikation von Vorhaben und Lösungen erzeugen Ankündigungsweltmeister den Anschein, dass wichtige Themen in der Organisation sinnvoll adressiert und in guten Händen sind – es passiert nur nichts. Einem expliziten Hinweis auf diese Differenz wird gerne mit dem Satz begegnet: «Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern?»

Bilanzkosmetik

Zahlen stehen in der Organisation für Objektivität, sie repräsentieren Wahrheit und Wirklichkeit. Das nutzen Bilanzfriseure und -kosmetiker aus. Bilanzkosmetik und kreative Buchführung dienen der optischen und kurzfristigen Gestaltung des Bilanzbildes vor dem Bilanzstichtag. Sie wollen dem Bilanzleser einen möglichst günstigen Eindruck von der wirtschaftlichen Lage eines Unternehmens verschaffen. Blühende Landschaften auf Knopfdruck also.

Code of Conduct

Ein Verhaltenskodex dient der Orientierung von Führung und Beschäftigten in Richtung eines verantwortlichen, ethisch korrekten und integren Verhaltens. Ihn einzuhalten basiert auf einer freiwilligen Selbstverpflichtung. Wie handlungsleitend der Kodex im Unternehmensalltag wirklich ist, hängt davon ab, ob er gelebt wird, ob also beispielsweise regelmäßig bei Entscheidungen auf ihn verwiesen wird. Sonst erschöpft sich seine Wirkung schon in dem Moment, wo die Tinte auf dem feinen Büttenpapier trocken ist.

Defensive Routine

Chris Argyris wies in seinen Arbeiten in den 80er Jahren immer wieder darauf hin, wieviel Aufwand Manager betreiben, um Lernprozesse zu vermeiden. Gesichtsverlust wird vermieden, Bestehendes aufrechterhalten. Die Bewältigung schwieriger Situationen geschieht dabei kollektiv musterhaft: Schweigen, Rückzug, Gegenangriffe, Beschämungen, Themenwechsel, Racheaktionen, Ausgrenzungen und einiges mehr. Diese Mechanismen werden toleriert, auch wenn sie offiziell unerwünscht sind.

Employer Branding

In Zeiten grassierenden Fachkräftemangels ist es für alle Organisationen von höchstem Interesse, am Arbeitsmarkt ein attraktives Bild abzugeben. Employer-Branding-Kampagnen zeigen das Unternehmen von seiner schönsten Seite. Fälschlicherweise wird das Ziel der Positionierung einer Arbeitgebermarke oft in der Gewinnung neuer Mitarbeitender gesehen. Die Qualität der Kampagne entscheidet sich aber nicht an denen, die kommen, sondern an denen, die dann auch bleiben.

False Urgency

Falsche Dringlichkeit ist die große Schwester des Aktionismus. Beide funktionieren nach dem Prinzip: Geschäftig zu wirken schützt vor dem Vorwurf der Inaktivität. Was genau getan wird, ist dabei völlig egal, solange es sofort getan werden muss und ausgesprochen wichtig wirkt.

Greenwashing

Wenn es um Nachhaltigkeit geht, bleibt keine Organisation von Transformationsthemen verschont. Ganz egal, ob es sich um den Carbon Footprint der eigenen Lieferkette handelt oder um die Einführung umweltfreundlicher Technologien: Gutes soll getan werden, und mehr: Es muss eifrig darüber geredet werden. Leider schießen viele Organisationen dann beim Geschichtenerzählen übers Ziel hinaus, ohne dass dahinter substanzielle Initiativen stehen.

Hinterbühne

Organisationen bestehen aus mindestens zwei Wirklichkeiten. Einer Vorderbühne, auf der sich die Organisation täglich neu und explizit als leistungsstark, effizient und professionell inszeniert. Und einer Hinterbühne, auf der die implizit gehaltene Kommunikation stattfindet, wo Gerüchte, Machtspiele und Informalität herrschen. Auch wenn es insbesondere für neue Mitarbeitende seltsam scheint: Die wirklich wichtigen Entscheidungen fallen meist auf der Hinterbühne.

Inszenierung

Es gibt keine Unternehmenskultur, die ganz ohne Aufführung, Showelemente und Fassaden auskommt. Inszenierungen machen den Alltag ein bisschen bunter – und sie helfen Menschen dabei, sich in Unternehmen als Teil von etwas Großem und Wichtigem zu fühlen. Wir glauben alle gerne ein wenig an die täglichen Vor- und Verstellungen. Die inszenierte Wirklichkeit im Unternehmen leitet die Aufmerksamkeit der Menschen, und sie lenkt ihr Verhalten. Das gelingt allerdings nur, wenn alle dabei mitmachen. Oder fast alle.

Jahresgespräch

Führungskräfte dürfen von ihren Mitarbeitenden Leistung erwarten. Dafür werden sie schließlich bezahlt (die Führungskräfte, meine ich). Einmal im Jahr wird diese Erwartung in einem Mitarbeitendengespräch formalisiert. Die Führungskraft beurteilt das Leistungsverhalten auf der Grundlage der zurückliegenden Monate. Da es aber viel einfacher ist, positives Verhalten zu attestieren als Kritik zu üben, wird das Gespräch oft als diffuses Lobgehudel aktenkundig. So entstehen ganze Armeen von Leistungsträgern auf dem Papier, wo in Wirklichkeit nur Durchschnitt herrscht.

Krisenstab

In Krisenzeiten herrscht Verunsicherung in der Organisation: Wie wird es weitergehen, werden wir die schwierigen Zeiten überstehen? Die bestehende Leitungsstruktur wird dann gerne mit einem Krisenstab ergänzt. Oder außer Kraft gesetzt. Auf die Führungskräfte hat letzteres oft eine sedierende Wirkung: Wunderbar, es kümmert sich jemand. Und: Zum Glück muss ich das nicht sein.

Leitbild

Leitbilder vermitteln oft genau das, was eben nicht in der Organisation vorhanden ist. Sie sind erstklassige Legitimationsfassaden. Feinsäuberlich laminiert im Besprechungsraum in Szene gesetzt, zeugen Leitbilder von einem Kommunikationsprozess, in dem alle Beteiligten feierlich geloben, ein gemeinsames Ziel zu verfolgen. Was sich dann später wirklich im Besprechungsraum abspielt, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Manipulation

Organisationen sind gute Orte für Manipulationen aller Art. Allein das tägliche Bespielen der Vorderbühne erfordert immer wieder einen kreativen Umgang mit der Wirklichkeit. Geschicktes, manchmal undurchschaubares Vorgehen, mit dem sich jemand einen Vorteil verschafft, sichert und fördert die Karriere. Wenn man es genau nimmt, dann manipulieren Organisationen als kollektive Akteure täglich erfolgreich ihre Mitglieder. Sie träumen ihnen auf, dass es sich lohnt, ja dass es kaum wichtigeres gibt, als ihre gute Lebenszeit gegen Entgelt für den Zweck der Organisation umzumünzen.

New Work

Ein großes Versprechen: New Work sei die neue Art, Leben und Arbeiten zu verbinden, es soll die Zukunft der Arbeit ein. Ein Neues Zeitalter des Menschen wird eingeläutet: Werteorientiertes Handeln, Selbstverwirklichung und Teilhabe an der Gemeinschaft. Mehr geht nicht. Das will nun wirklich jede*r. Beim näheren Hinschauen ist die schöne neue Arbeitswelt allerdings oft ein Ringen darum, zur richtigen Zeit die passende Rolle spielen zu können. Da hilft es wenig, wenn bei der Heimarbeit mitten in der Verhandlung plärrend ein Kleinkind durchs Bild wandert. Leider ist dort, wo New Work draufsteht, in der Praxis oft nur kostenoptimiertes Arbeiten drin.

Organigramm

Organigramme bilden die Struktur der Organisation ab. Sie klären verbindlich Gesamtaufbau, Berichtslinien, funktionale Einheiten und Verantwortlichkeiten der Organisation und schaffen so einen wohltuenden Überblick im oft verworrenen Organisationsalltag. Wer sich strikt ans Organigramm hält, kommt aber auf der Suche nach realer Verantwortung oft nicht weit. Organigramme idealisieren und simplifizieren nämlich die Organisation. Und sie schützen nicht vor Verantwortungsdiffusion und Zuständigkeitschaos, weil hinter jedem formalen Organigramm ein zweites, wirklicheres, Informales liegt.

Pseudopartizipation

Inzwischen ist in den Führungsetagen angekommen, dass man bei Veränderungsprozessen tunlichst vermeiden sollte, die eigenen Pläne ohne Rücksicht auf Verluste von oben nach unten durchzudrücken. Das weckt Widerstand und andere Unbill. Deshalb müssen Menschen am Wandel beteiligt werden. Die beste Methode, das zu tun, und trotzdem die eigenen Ziele durchzusetzen, ist die Pseudopartizipation. Man veranstaltet große Change-Programme zur Mitsprache, macht am Ende aber genau das, was vorher bereits in Planung war. Meist fliegt der Schwindel aber am Ende auf. Das ist peinlich und verbrennt Vertrauenskapital.

Quote

Quoten sind probate Mittel, um die Umsetzung von Organisationszielen zu gewährleisten. Eine öffentlich kommunizierte Quote (ganz gleich in welchem Kontext) erzeugt für sich schon die schwerwiegende Last der Selbstverpflichtung. Da wagt man später dann kaum zu fragen, wie es um die Erreichung der selbst gesteckten Ziele steht. Vor allem aber sagt eine Quote, dass es ohne Quote nicht geht. Dass etwas nicht selbstverständlich ist, sondern verständlich gemacht werden muss.

Restrukturierung

Unter den vielen Möglichkeiten, organisatorischem Wandel einen Namen zu geben, zeichnet sich der Begriff der Restrukturierung durch eine Besonderheit aus, die ihn zu einem hervorragenden Vorderbühnenterminus macht: Er beschreibt Wandel als Neuordnung, suggeriert technische Leichthändigkeit, einfachen Umbau. Und ist doch oft nur ein Euphemismus für simplen Stellenabbau. Das hilft natürlich bei komplexen Transformationen. Besonders denen, die sich nicht mit den vielfältigen Widrigkeiten sozialer Systeme herumschlagen wollen.

Schauprojekt

Jede Organisation kennt Projekte, die irgendwie kein Ende finden und die keiner mehr so richtig will. Tote Pferde gewissermaßen, die geritten werden, obwohl sie keinen Mucks mehr machen. Oft ist auch ungeklärt, ob das Projekt überhaupt wichtig ist. Oder für wen. Geht man dann einen Schritt zurück, stellt sich oft heraus, dass diese Projekte ehemals Schauprojekte waren, die ein mikropolitisch relevantes Problem zu lösen hatten. Und die oft mit Personen und Namen verbunden waren, die aktuell eben keine mikropolitische Relevanz mehr haben.

Team

Echte Teams, die stets das Große und Ganze hinter den Aufgaben ihrer Mitglieder im Auge haben und in denen ein ausreichendes Maß an psychologischer Sicherheit herrscht, gibt es ausgesprochen selten in der Praxis. Ganz im Gegensatz dazu wird der Teamgeist meist überall dort beschworen, wo die sozialen Zentrifugalkräfte am stärksten wirken. Nicht umsonst steht in vielen Organisationen T.e.a.m. für «Toll, ein anderer macht’s»!

Unternehmenskultur

 Wenn Geschäftsführer von Unternehmenskultur sprechen, ist Vorsicht geboten. Meist geht es dabei nämlich darum, dass ihr Unternehmen eine Unternehmenskultur bestimmter Qualität hat, die sich seit Jahren und Jahrzehnten als besonders produktiv erwiesen hat. Das Problem dabei ist, dass Unternehmen nicht Kulturen haben, sondern Kulturen sind, in denen sich Ereignisse und Erfahrungen über die Jahre und Jahrzehnte im organisationalen Unbewussten sedimentiert haben. Und dort aktuell verhaltenssteuernd wirken. Dabei sind einige Aspekte der Kultur sicher produktiv, sonst würde das Unternehmen nicht mehr existieren. Andere hingegen sind das nicht. Sonst ließe sich der Appetit der Kultur auf frische, leckere Strategien kaum erklären.

Vertrauen

Vertrauen ist das Schmiermittel sozialer Interaktion. In Organisationen wirkt es als unausgesprochene Grundlage von flotter Zusammenarbeit. Wenn Vertrauen schwindet, dann steigen Kooperations- und Kommunikationskosten exponentiell. Deshalb ist der Terminus Vertrauen ein wichtiges Element in Sonntagsreden aller Art. Nur: Die Soziologie weiß, dass Vertrauen genau dann nicht vorhanden ist, wenn darüber gesprochen wird. Wenn Sie beim Kauf eines Gebrauchtwagens also gebeten werden, dem Händler zu vertrauen, ist das wahrscheinlich genau der Moment, an dem Sie den Laden verlassen sollten.

Window Dressing

 Die Dekoration eines Schaufensters ist eine hohe Kunst. Sie soll Passanten zum Verweilen einladen und sie glauben lassen, dass das schöne Arrangement der Dinge stellvertretend für das ganze Geschäft steht. Abteilungen für Unternehmenskommunikation allerorten betreiben solche Schaufenster mit großem Aufwand. Sie haben dann wohlklingende Namen, die aus dem Angelsächsischen entlehnt sind wie Corporate Citizenship, Corporate Responsibility, Public Value und ähnliche. Nur: In wenigen Geschäften sieht es so hübsch aus wie es ihre Schaufenster glauben machen wollen.

Xfür ein U

Die Fähigkeit von Geschäftsführern und Vorständen, die Wirklichkeit den eigenen Wünschen entsprechend anzupassen, ist unterschiedlich ausgeprägt. Unvergessen ist in dieser Hinsicht Steve Jobs, der sein Team explizit aufforderte, ihm zu signalisieren, wenn er sich wieder einmal im «Reality Distortion»- Modus befand. So behielt er meist beide Beine auf dem Boden der Tatsachen. In Zeiten umfassender digitaler Desinformation wird diese Funktion der «Bullshit Detection» für Organisationen immer wichtiger.

Generation Y

Vielleicht gehört es zu den großen anthropologischen Konstanten, dass der Mensch, hat er erst einmal ein bestimmtes Alter erreicht, sich gerne über die nachfolgenden In Organisationen hat diese Beschwerde inzwischen System: Verwissenschaftliche Generationentypologien helfen, den eigenen Vorurteilen eloquent Ausdruck zu verleihen: Die Generation Y stellt eben alles in Frage. Und sie hat so gar kein Interesse an Status und Prestige. Aber medienkompetent ist sie, deshalb meint sie auch, alles zu wissen. Nur: Wahrscheinlich gibt es die Generation Y überhaupt nicht, die Generationentypologien stehen empirisch nämlich auf ziemlich wackeligen Beinen.

Zeugnis

Nirgends wird mehr gelogen als in Zeugnissen. Auf den ersten, unbedarften Blick lesen sich viele Zeugnisse recht positiv, doch die Codes der Zeugnissprache lassen tiefer blicken. Da werden Schlüsselbegriffe («gesellig») und Nebensätze zu Karrierekillern. Zudem sind Zeugnisse wichtige Katalysatoren des Weglobens. Wir wünschen Herrn/Frau XY alles Gute für seine/ ihre Zukunft. Wer’s glaubt, wird selig.


Aus Ausgabe Nr. 1/21: Fake Change – Wandel als leeres Versprechen

Die Chartsätze werden immer eindrucksvoller, das Storytelling immer wirksamer. Es war noch nie so einfach, Wandel in Organisationen überzeugend darzustellen. Doch ob die Darstellung der Wirklichkeit entspricht, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Denn viele Veränderungsprojekte sind im Rückblick mehr Schein als Sein. Wenn das von vornherein so  beabsichtigt war, dann war der Wandel gefälscht, fake.

In diesem Heft widmen wir uns der Frage, wie Fake Change eigentlich funktioniert. Warum gibt es überhaupt Projekte mit «geplanter Folgenlosigkeit» (K. Doppler)? Wie ist in der Praxis mit groß angekündigten Projekten umzugehen, die sich irgendwann als heiße Luft, Schauveranstaltung oder mikropolitischer Schachzug erweisen? Wie erkenne ich, was hinter der bunt bemalten Legitimationsfassade des Projekts steht?